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Presse in Jena und anderswo über unsere Stadtführungen

11.01.2016

Das Gute schläft, das Böse wacht

Jena. Ein dröhnendes Kuhhorn hallt durch den Bogen des Johannistors und lässt Passanten in der Innenstadt kurz innehalten. Die Zuschauer dieses ungewöhnlichen Spektakels versetzt es in diesem Moment zurück in frühere Zeiten – irgendwann zwischen Mittelalter und endendem 19. Jahrhundert. Spätestens allerdings in die Nacht vom 31. Dezember 1881. Dann nämlich trat der letzte Jenaer Nachtwächter seine finale Schicht an.

Bis heute: Denn Uta Lörzer hat diese alte Tradition wieder aufgenommen. „Hört, ihr Leut und lasst euch sagen. Unsre Glock hat Acht geschlagen“, singt sie und beschallt das Faulloch. Nicht ganz freiwillig stehe
sie heute hier und beschütze die Stadt vor Feuer und düsteren Spießgesellen. Der eigentliche Nachtwächter, ihr Ehemann, sei jedoch in der Kneipe versackt. Traten Nachtwächter aber nicht zum Dienst an, erwarteten sie empfindliche Strafen. Also ist Lörzer kurzerhand in diese ehemalige Männerdomäne geschlüpft. Mit ein paar derben Späßen in Richtung des vermeintlich stärkeren Geschlechts beginnt eine farbenfrohe Tour durch das mittelalterliche Jena bei Nacht. Zugegeben, in Jena gibt es keine Nachtwächter mehr und auch nicht wieder. Polizei und Feuerwehr haben diesen Job längst übernommen. Im eigentlichen Leben ist Uta Lörzer daher Stadt- und Gästeführerin. Und heute führt sie eben eine Touristengruppe in der Rolle als Nachtwächterin durch die Altstadt. Offiziell sei Stadtführerin nicht einmal ein offizieller Beruf, gibt sie zu. Ihrem Engagement tut das allerdings keinen Abbruch. Die 15-köpfige Gruppe klebt daher an ihren Lippen. Nach der Wende und einem Studium als Dolmetscherin war sie wegen ihrer Kinder vorübergehend zu Hause. „Aber mir wird schnell langweilig und bevor ich zu Hause versauere, habe ich einen Volkshochschulkurs als Gästeführerin gemacht“, erklärt Lörzer. Unzählige Stunden waren das – von Didaktik und Methodik bis hin zur Stimmbildung reichten die Unterrichtsinhalte. „Denn letztlich ist man Historiker, Lehrer und manchmal Seelsorger in Personalunion“, sagt Lörzer. „Oft aber auch Kabarettist“, fügt sie lächelnd an. Jahreszahlen merke sich doch keiner. „Der Trend geht zur Unterhaltung.“ Lörzers Führungen sind daher eine Mischung aus Fakten, aber vor allem Witz und skurrilen Anekdoten des historischen Jenas.

Böse Überraschung aus Fenster und Nachttopf

Historisch korrekt müsse es dennoch zugehen, erklärt sie. Das beginnt schon beim Kostüm: Der breitkrempige Hut schützte beispielsweise den Nachtwächter. Nicht etwa vor der Kälte, sondern vor dem Inhalt der Nachttöpfe, die man früher noch aus dem Fenster auf die Straße kippte. Den einzigen Kompromiss, den Lörzer eingeht, gesteht sie später lächelnd, ist eine Fleecejacke unter dem schwarzen Umhang. „Oder nehmen sie die Bewaffnung“, sagt sie dann. Sie sei Mischung aus Hellebarde und Feuerhaken. Denn Brände waren in jenen Tagen noch gefürchteter als finstere Gestalten. „Offenes Feuer war nicht erlaubt. Und das zu kontrollieren, war auch Aufgabe der Nachtwächter.“ Doch trotz dieser verantwortungsvollen Aufgabe seien die Wachen nicht sonderlich angesehen gewesen und nur schlecht bezahlt worden. Viele mussten gar tagsüber noch einer anderen Anstellung nachgehen. Anstelle von Dankbarkeit installierte man 1839 sogar eine Wächterkontrolluhr, die gewährleisten sollte, dass die Männer tatsächlich ihren Job erledigen. Bei jeder Runde mussten sie eine Marke mit ihren Initialen einwerfen, die in ein Zeitfach fiel. Stechstellen waren unter anderem am Anatomiegebäude oder beim Haus im Sack. „Vielleicht war die Kontrolle aber auch angebracht“, sagt Lörzer plötzlich. Einmal habe man die Uhr nämlich auch reparieren müssen, weil jemand die Mechanik manipulieren wollte. Um all solche Fakten zusammenzutragen, gehöre einiges an Arbeit, erläutert Lörzer. „Viele sehen nur den etwa zweistündigen Rundgang. Tatsächlich stecken hinter jeder meiner Führungen etwa 600 Stunden Recherche.“ Und so fand Lörzer beispielsweise auch heraus, dass das berühmte Nachtwächterlied, das auch heute noch viele kennen und damals als Stundenruf diente, nicht nur Vorzüge hatte. Eigentlich sollte es den Leuten das sichere Gefühl geben, jemand wache über sie. „Tatsächlich wussten aber Diebe immer Bescheid, wo der Nachtwächter gerade ist“, schmunzelt die Stadtführerin und stimmt wieder ihr Lied an.